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BGH: Es gibt kein automatisches Recht auf "Vergessen-Werden im Netz"

(Foto: pixabay)

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Der unter anderem für das Datenschutzrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe hat sich mit zwei Verfahren beschäftigt, in denen es um die Präsenz in den Google-Such-Ergebnissen ging (Entscheidungen vom 27. Juli 2020 – Az.: VI ZR 405/18 und VI ZR 476/18).

Im erstgenannten Verfahren verlangte der frühere Geschäftsführer eines hessischen Wohlfahrtsverbandes, nicht länger in der Google-Suchliste gefunden zu werden. Im Jahr 2011 wies dieser Regionalverband ein finanzielles Defizit von knapp einer Million Euro auf; kurz zuvor meldete sich der Kläger krank. Über beides berichtete seinerzeit die regionale Tagespresse unter Nennung des vollen Namens des Klägers. Der Kläger begehrt nunmehr von der Beklagten als der Verantwortlichen für die Internetsuchmaschine "Google", es zu unterlassen, diese Presseartikel bei einer Suche nach seinem Namen in der Ergebnisliste nachzuweisen. Das Landgericht Frankfurt hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 26. Okt. 2017 – Az.: 2-03 O 190/16). Auch die Berufung des Klägers beim Oberlandesgericht Frankfurt hatte keinen Erfolg (Urteil vom 6. Sept. 2018 – Az.: 16 U 193/17). Jetzt hat auch der Bundesgerichtshof die Berufung abgewiesen.
In der Presse-Information Nr. 95/2020 vom 27. Juli 2020 heißt es: "Der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Auslistung der streitgegenständlichen Ergebnislinks ergibt sich nicht aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO. Der Auslistungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 DS-GVO erfordert nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und dem Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. November 2019 (1 BvR 276/17 – Recht auf Vergessen II) eine umfassende Grundrechtsabwägung, die auf der Grundlage aller relevanten Umstände des Einzelfalles und unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs in die Grundrechte der betroffenen Person einerseits (Art. 7, 8 GRCh), der Grundrechte der Beklagten, der Interessen ihrer Nutzer und der Öffentlichkeit sowie der Grundrechte der Anbieter der in den beanstandeten Ergebnislinks nachgewiesenen Inhalte andererseits (Art. 11, 16 GRCh) vorzunehmen ist.
Da im Rahmen dieser Abwägung die Meinungsfreiheit der durch die Entscheidung belasteten Inhalte-Anbieter als unmittelbar betroffenes Grundrecht in die Abwägung einzubeziehen ist, gilt keine Vermutung eines Vorrangs der Schutz-Interessen des Betroffenen, sondern sind die sich gegenüberstehenden Grundrechte gleichberechtigt miteinander abzuwägen. Aus diesem Gebot der gleichberechtigten Abwägung folgt aber auch, dass der Verantwortliche einer Suchmaschine nicht erst dann tätig werden muss, wenn er von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung des Betroffenen Kenntnis erlangt. An seiner noch zur Rechtslage vor Inkrafttreten der DS-GVO entwickelten gegenteiligen Rechtsprechung (Senatsurteil vom 27. Februar 2018 - VI ZR 489/16, BGHZ 217, 350, 363 Rn. 36 i.V.m. 370 f. Rn. 52) hält der Senat insoweit nicht fest.

Nach diesen Grundsätzen haben die Grundrechte des Klägers auch unter Berücksichtigung des Zeitablaufs im konkreten Fall hinter den Interessen der Beklagten und den in deren Waagschale zu legenden Interessen ihrer Nutzer, der Öffentlichkeit und der für die verlinkten Zeitungsartikel verantwortlichen Presse-Organe zurückzutreten, wobei der fortdauernden Rechtmäßigkeit der verlinkten Berichterstattung entscheidungsanleitende Bedeutung für das Auslistungsbegehren gegen die Beklagte zukommt.

Im Hinblick auf den Anwendungsvorrang des vorliegend unionsweit abschließend vereinheitlichten Datenschutzrechts und die bei Prüfung eines Auslistungsbegehrens nach Art. 17 DS-GVO vorzunehmende umfassende Grundrechtsabwägung kann der Kläger seinen Anspruch auch nicht auf Vorschriften des nationalen deutschen Rechts stützen."

Im zweiten Verfahren geht es um kritische Artikel einer US-Site über Finanz-Dienstleister, in denen Fotos des Klägers und der Klägerin zu sehen sind. Dieses Verfahren hat der BGH ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg Fragen zur Klärung vorgelegt. Sowohl das Landgericht Köln als auch das Oberlandesgericht Köln haben die Klage zuvor abgewiesen.


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(ps) 27.07.2020



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