Freitag, 03. Mai 2024

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Filesharing - BGH entscheidet über Auskunftsanspruch gegen Internet-Provider

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs veröffentlichte am 10. August eine Entscheidung (AZ: I ZB 80/11), die eine Rechtsverfolgung von illegalen Musik-Downloads nachhaltig beeinflussen wird. Nach Auffassung des BGH, muss ein Internet-Provider dem Rechteinhaber Namen und Anschrift derjenigen Nutzer einer IP-Adresse mitteilen, die ein urheberrechtlich geschütztes Musikstück offensichtlich unberechtigt in eine Online-Tauschbörse eingestellt haben.

Das Vertriebsunternehmen der Naidoo Records GmbH verlangte in diesem Verfahren von der Deutschen Telekom AG Auskunft über Namen und Nutzerdaten, denen die dynamischen IP-Adressen zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen waren. Es ging dabei um ein Musikstück aus dem Xavier Naidoo-Album „Alles kann besser werden", das über eine Online-Tauschbörse unberechtigt angeboten wurde.

Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht Köln lehnten den Antrag mit der Begründung ab, eine „Rechtsverletzung im gewerblichen Ausmaß" sei hinsichtlich eines einzelnen Musiktitels nicht gegeben. Die Karlsruher Richter sahen dies anders. Dem Rechteinhaber stünden Ansprüche auf Unterlassung und Schadenersatz nicht nur gegen einen im gewerblichen Ausmaß handelnden Verletzer, sondern gegen jeden Verletzer zu. Er wäre,so der BGH, „faktisch schutzlos" gestellt, soweit er in solchen Fällen keine Auskunft erhielte.

Welche Auswirkungen das Urteil haben wird, zeigt eine Umfrage des TITELSCHUTZ ANZEIGERs.

Die Fragen
1. Bislang wurde im Zusammenhang mit einem Auskunftsanspruch eine „Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß" vorausgesetzt. Wie bewerten Sie das aktuelle BGH-Urteil?
2. Macht die Entscheidung die Beurteilung von Auskunftsanträgen für Internet-Provider leichter?
3. Wird es nun vermehrt zu Abmahnungen kommen?

 

RA Tim Hoesmann, Kanzlei Hoesmann
Berlin

1. Für die Musik- und auch "Abmahnindustrie" ein gutes Urteil, für alle Internetnutzer und Abmahnopfer leider nicht.

Mit dieser Entscheidung geht das Gericht deutlich über die Begründung des Gesetzgebers hinaus, der ganz bewusst hinsichtlich des Auskunftsanspruchs eine Rechtsverletzung im gewerblichen Bereich gefordert hat. Ein Gewerbe in der klassischen Auslegung ist eine wirtschaftliche Tätigkeit, die auf eigene Rechnung, eigene Verantwortung und auf Dauer mit der Absicht zur Gewinnerzielung betrieben wird. Bislang wurde bei Urheberrechtsverletzungen zumindest nur dann eine gewerbliche Handlung angenommen, wenn die Rechtsverletzung in den ersten 6 Monaten der Verwertungsphase oder in einem erheblichen Ausmaß begangen wurde. Dies wurde zurecht schon von Juristen infrage gestellt, da die wenigsten Tauschbörsennutzer einen wirklichen geldwerten Vorteil haben, geschweige denn einen Gewinn erzielen. Nunmehr ist es durch die Überdehnung des Begriffs "gewerbliches Ausmaß" auf einzelne Lieder rechtlich möglich, ältere Werke und auch nur einzelne Lieder gezielt abzumahnen. Ohne Grund hat der BGH der Musikindustrie die Möglichkeit eröffnet, noch umfangreicher Abmahnungen verschicken zu können.

2. Ja, nunmehr müssen auch bei geringeren Verstößen die Gerichte Auskunft geben und können die Auskunft nicht mehr verweigern.

3. Ich befürchte ja. Es werden ganz entgegen dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, Abmahnungen gegen mutmaßliche File-sharer in Zukunft wohl noch weiter zunehmen und sich viele Nutzer plötzlich einer in den meisten Fällen sehr teuren Abmahnung für einen im Grunde doch lapidaren Verstoß gegenübersehen.

 

 

Dr. Florian Drücke
Geschäftsführer des Bundesverbands Musikindustrie e.V.,
Berlin

1. Wir begrüßen die Klarstellung des Bundesgerichtshofs. Mit dem aktuellen Urteil hat der BGH dem bislang inakzeptablen Zustand der Verkürzung von Rechten der Kreativen und ihrer Partner Einhalt geboten. Fortan entfällt das Kriterium des „gewerblichen Ausmaßes" bei einer Handlung des Rechtsverletzers. De facto wird dadurch Rechtsverfolgung auch bei älterem Repertoire ermöglicht. Gerade in einer Zeit, in der vermehrt eine weitere Verringerung des Schutzniveaus gefordert wird, ist das ein wichtiges Signal, insbesondere weil der BGH in einem größeren Kontext klarstellt, dass es verfassungsrechtlich schlichtweg inakzeptabel ist, Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums gegenüber Rechtsverletzern faktisch schutzlos zu stellen. An dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, dass wir seit langem fordern, die Rechtsdurchsetzung an die digitale Realität anzupassen, politisch sich hier jedoch leider nichts bewegt. Gerade weil jetzt wieder die Angst vor einer drastischen Zunahme der Rechtsverfolgung geschürt wird, wäre eine entemontionalisierte Auseinandersetzung mit dem von den Rechteinhabern seit langem vorgeschlagenen Warnhinweismodell bzw. der von Herrn Prof. Schwartmann für das BMWi entwickelten „Freischuss"-Lösung mehr als angebracht. Es würde sich zeigen, dass dieser Ansatz für alle Beteiligten Vorteile hätte.

2. Für die Provider ändert sich vom Prozedere her nichts. Im Rahmen des Gestattungsverfahrens sind auch weiterhin die Gerichte für die Prüfung der Beweise und die Gestattung der Auskunft zuständig. Im Übrigen ist es schon abenteuerlich, wie in diesem Gesamtkomplex nun so getan wird, als würden User in Deutschland zum ersten Mal abgemahnt werden können. Gerade weil das Vorgehen diverser Rechteinhaber in den letzten Jahren öffentlich sehr stark kritisiert worden ist, hätten wir eine intensivere und sachlichere Auseinandersetzung mit den wirklichen Änderungen und vor allem auch mit der Begründung des BGH erwartet. Auf die Tatsache, dass Filesharing nichts mit „gewerblicher Tätigkeit" zu tun hat, hatten wir bereits damals hingewiesen.

3. Die Tatsache, dass das BGH-Urteil die Rechtsverfolgung von älterem und unbekannterem Repertoire ermöglicht, heißt noch lange nicht, dass es in Zukunft auch mehr zivilrechtliche Verfahren geben wird. Trotzdem sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Ausgang einer Abmahnung eine konstatierte Rechtsverletzung ist. Ob und was der Rechteinhaber mit diesem Befund tut, ist seine Sache.

Wenn es nach uns ginge, würde der Anschlussinhaber jedenfalls zunächst von seinem Provider eine Warnung erhalten und dann wäre dieses Thema – vielleicht ja nach einer innerfamiliären Auseinandersetzung – in sehr vielen Fällen ohne weitere Eskalation erledigt. Die Zeit wäre reif für einen solchen Ansatz.

 

 

RA Dirk Feldmann,
Unverzagt von Have Rechtsanwälte,
Hamburg

Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil vom 10. August 2012 die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und ein deutliches Signal im Hinblick auf den Urheberrechtsschutz im Internet gesetzt. Landgericht und Oberlandesgericht Köln hatten (durchaus im Einklang mit der übrigen Rechtsprechung) den Anspruch auf Auskunft gegen den Internetprovider über die Identität von IP-Adresseninhabern grundsätzlich abgelehnt.

Ein solcher Eingriff in den Datenschutz sei unzulässig, wenn derjenige, der Musik illegal im Netz zum Download für andere Nutzer stellt, als Privatperson handele. Erst wenn dieses Handeln ein gewerbliches Ausmaß erreiche, sei es verhältnismäßig den Internetprovider zur Auskunft zu zwingen. Damit konnten sich bislang alle Internetpiraten sicher fühlen, die zum privaten Vergnügen Musikfiles in Tauschbörsen zur Verfügung stellten. Der Bundesgerichtshof hat jedoch deutlich gemacht, dass jede Rechtsverletzung verfolgt werden kann und der Verletzer keinen An-spruch auf Geheimhaltung seiner Identität hat. Wer die Rechte eines Urhebers (hier Musikers) verletzt, muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden können. Derjenige, der ihm dafür eine Plattform und die Möglichkeit zur Verschlüsselung seiner Identität bietet, muss Auskunft über die ihm zugänglichen persönlichen Daten des Rechteverletzers erteilen.

Die Auswirkungen dieses Urteils dürften sehr weitgehend sein. Zum einen ist damit zu rechnen, dass es abschreckende Wirkung auf potentielle Rechteverletzer hat. Zum anderen wird es die Anzahl der Abmahnungen, die von der Musikindustrie durch Formschreiben über Anwaltskanzleien massenhaft versendet werden, noch erheblich steigern. Ohne Namen und Anschriften der Rechteverletzer ist eine Durchsetzung der Ansprüche auf Unterlassung und Schadensersatz nicht möglich. Der Rechteinhaber war hinsichtlich Rechtsverletzungen, die kein gewerbliches Ausmaß erreichten, schutzlos gestellt. Nunmehr ist es möglich, gegen jeden Rechteverletzer vorzugehen. Der Bundesgerichtshof hat betont, dass es durchaus verhältnismäßig sei, wegen vorsätzlicher Urheberrechtsverletzungen die Identitätsfeststellung zu erzwingen.

 

 

RA Dr. Markus Ruttig
Cornelius Bartenbach Haesemann & Partner,
Köln

„Alles kann besser werden"
BGH klärt Inhalt und Umfang der Auskunftspflicht nach § 101 Abs. 2 UrhG.

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 19.04.2012 ist im Ergebnis eindeutig, gleichwohl mag er vielen überraschend erscheinen: Der urheberrechtliche Auskunftsanspruch nach § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG setzt, anders als der Auskunftsanspruch nach § 101 Abs. 1 UrhG, nicht voraus, dass die rechtsverletzende Tätigkeit das Urheberrecht oder ein anderes nach dem Urheberrechtsgesetz geschütztes Recht „in gewerblichem Ausmaß" verletzt. Das bedeutet, dass der Verletzte in jedem Fall der Urheberrechtsverletzung und damit bereits beim erst- und einmaligen Angebot eines Films oder Musikstücks in einer Tauschbörse, gegenüber einem Internet-Provider Auskunft darüber verlangen kann, welcher Kunde sich zur Zeit der Rechtsverletzung hinter der festgestellten IP-Adresse verborgen hat. Die Rechtsverfolgung wird damit für die Rechteinhaber deutlich vereinfacht. Die Diskussion über mögliche besondere Umstände, die ein „gewerbliches Ausmaß" auch bei einmaligem Rechtsverstoß begründen könnten, wie etwa die Bedeutung des verletzten Werkes oder der Zeitpunkt der Verletzung während der Verwertungsphase, hat sich damit, jedenfalls bei § 101 Abs. 2 UrhG, erledigt.

Überraschend ist an dem Beschluss, dass er entgegen einer gefestigten Rechtsprechung der Oberlandesgerichte erfolgte. In der Rechtsprechung nicht nur des OLG Köln sondern auch des OLG Oldenburg, des OLG Zweibrücken oder des OLG Hamburg, hatte sich die Auffassung durchgesetzt, dass § 101 Abs. 2 UrhG den Anspruch aus § 101 Abs. 1 UrhG („auch") erweitere und dazu diene, seine Durchsetzung zu verbessern. Darüber hinaus bezogen sich die OLG-Senate in ihren Entscheidungen auf die Gesetzesbegründung. Denn in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 20.04.2007 (BT-Dr 16/5048, S. 49) wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch der Drittauskunftsanspruch eine Verletzungshandlung in „gewerblichem Ausmaß" voraussetze. Die Rechtslage schien also eindeutig. Bis zum Beschluss des Bundesgerichtshofes, der die Ansicht der Verfasser des Regierungsentwurfs zum Verständnis des § 101 Abs. 2 UrhG kurzerhand für unmaßgeblich erklärte.

Mit einer solchen Beurteilung sind Oberlandesgerichte zu Recht zurückhaltend. Doch wer die sorgfältige Analyse des BGH zur Genese von § 101 Abs. 2 UrhG liest, muss anerkennen, dass die Motive des Gesetzgebers im Widerspruch zum Wortlaut der Norm sowie zu ihrem Sinn und Zweck stehen. Wo das OLG Hamburg noch vorsichtig von einem „undeutlichen Wortlaut" der Norm spricht, stellt der BGH das Gesetz vom Kopf auf die Füße und räumt Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Bestimmung den Vorrang vor dem – widersprüchlichen – Willen des Gesetzgebers aus der Gesetzesbegründung ein. Und so könnte der Name der Entscheidung vor allem als Appell an die Gesetzgebung verstanden werden: „Alles kann besser werden".


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(al) 28.08.2012



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